Sound Art: Zeit-Ton Porträt in memoriam Sofia Gubaidulina

Fr, 14.03.  |  23:03-0:00  |  Ö1
Die bedeutende russisch-tatarische Komponistin in einem historischen Interview.

Sofia Gubaidulina, die Grande Dame unter den lebenden Komponistinnen dieser Welt ist am 13. März im Alter von 93 Jahren nahe Hamburg verstorben. Damit verabschiedet sich eine der großen Tonsetzerinnen der Gegenwart für immer von der Klassikbühne, auf der sie gerade in den vergangenen Jahren große Erfolge feierte. Wir senden aus diesem Anlass ein „Zeit-Ton“-Porträt aus dem Jahr 2018. Reinhard Kager hatte die stets bescheiden auftretende Komponistin bei den Klangspuren Schwaz zu einem Interview treffen können. Darin spricht sie über die Rolle der Religiosität für ihr Werk und die Bedeutung der Kunst für die Gesellschaft.Solisten wie Gidon Kremer, Mstislaw Rostropowitsch oder Anne-Sophie Mutter haben ihre Werke aufgeführt, Pultstars wie Kurt Masur, Christian Thielemann oder Simon Rattle dirigiert. Letzterer titulierte sie einmal als „fliegenden Einsiedler“: „Ab und zu kommt sie zu uns auf die Erde und bringt uns Licht und geht dann wieder auf ihre Umlaufbahn.“ Im Jahr 2020 durfte das ORF Radio-Symphonieorchester Wien eines ihrer letzten großen Meisterwerke im Rahmen von Wien Modern unter der Leitung von Oksana Lyniv zur Uraufführung bringen.Klangfarben und Intervall-Konstellationen, Tonhöhen und Artikulationsarten bilden die Basis ihrer Werke, bisweilen sind rhythmische Prozesse prägend und das Verhältnis der Themen und Motive zueinander. Die oft als „Mystikerin der Musik“ titulierte Künstlerin wollte stets Klang und Seele miteinander verbinden und verspürte bereits als Kind den Drang zum Komponieren. „Das wichtigste Ziel eines Kunstwerkes ist meiner Ansicht nach die Verwandlung der Zeit“, sagte sie einmal.Religion war der russisch-orthodoxen Christin existenziell wichtig und prägte ihr ganzes Musikschaffen – nicht nur ihre religiösen Werke wie „Stunde der Seele“, „De profundis“, oder „Sieben Worte“. Herausragend ihre „Johannes“-Passion: Die Auftragskomposition für die Internationale Bachakademie Stuttgart wurde zum 250. Geburtstag von Johann Sebastian Bach 2000 uraufgeführt. Sie hat den Leidensweg Jesu gigantisch vertont – für Orchester, zwei Chöre und Solisten. Später folgte „Johannes-Ostern“, denn die Leiden Jesu ergeben für Gubaidulina ohne die Auferstehung keinen Sinn.Im Leben Gubaidulinas spiegelte sich das 20. Jahrhundert seit der Stalinzeit, der Kalte Krieg, Gorbatschows Perestroika und der Zusammenbruch der Sowjetunion. Die Komponistin kam am 24. Oktober 1931 in Tschistopol an der Wolga in der tatarischen Republik zur Welt, studierte in Kasan und Moskau Musik und arbeitete seit 1963 als freie Komponistin. Als kulturelle Wurzeln nannte sie die Prägung durch jüdische Lehrer, die frühe Begegnung mit der deutschen Kultur und ihre russisch-tatarische Herkunft. Ihr Geld musste sich Gubaidulina lange mit dem Schreiben von Filmmusik verdienen, ihre Werke wurden in der Sowjetunion mit Skepsis betrachtet und kaum aufgeführt. (Wiederholung vom 24. April 2018)

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