Vor dem Auftakt der Formel 1-Saison 2013 im australischen Melbourne (17.3., RTL, live ab 6.00 Uhr) sprach RTL mit Niki Lauda, der seit 1995 beim Kölner Sender als Experte engagiert ist, über Favoriten, Reifen, Piloten und Doppelfunktionen.
Bei den letzten Testfahrten in Barcelona hat Mercedes stark aufgetrumpft und Hoffnungen auf ein konstant schnelles und wettbewerbsfähiges Auto geweckt. Wie stark ist der Mercedes denn nun wirklich?
Niki Lauda: „Ich freue mich, dass der neue Mercedes bei den letzten Tests in Barcelona bewiesen hat, dass er in der Grundgeschwindigkeit schnell ist. Aber ich weiß auch, dass der Erkenntniswert von Testfahrten nur sehr beschränkt ist, solange nicht die ersten Rennen in Melbourne und Kuala Lumpur absolviert sind."
Was sagt Ihr Bauchgefühl?
„Ich glaube, dass diesmal die Basis für ein schnelles Auto schon zum Saisonauftakt gelegt ist. Ein genaues Bild kann ich mir natürlich nicht machen, weil ich nicht weiß, ob und in wieweit die anderen Teams bei den letzten Testfahrten geblufft haben."
Erwarten Sie 2013 auch Siege von Ihren beiden Piloten?
„Auf solche Diskussionen kann ich mich nicht einlassen, da muss man erst die beiden Grand Prix zum Saisonbeginn abwarten."
Wie funktioniert nach Ihren Eindrücken denn das Mercedes Duo Lewis Hamilton/Nico Rosberg?
„Ich glaube, dass Mercedes mit Nico Rosberg und Lewis Hamilton die absolut stärkste Fahrerpaarung haben. Wenn ich mir da die anderen Teams anschaue, dann hat es keiner so optimal erwischt. Lewis hat einen frischen Wind ins Team hineingeblasen und hat als Weltmeister schon längst bewiesen, dass er perfekt fahren kann. Nico ist ein irrsinnig talentierter junger Mann, der bislang leider nur ein Rennen gewinnen konnte. Ich habe bei den Testfahrten schon gesehen, wie sich die beiden in ihre Sache hineinsteigern können, jede Runde gemeinsam arbeiten und schneller sein wollen als der andere. Und auch privat verstehen sich die beiden sehr gut."
Derzeit wird wild über eine Ablösung von Mercedes-Teamchef Ross Brawn durch Noch-McLaren-Mann Paddy Lowe im kommenden Jahr spekuliert. Was ist da dran?
„Die Diskussion ist sinnlos, an den Spekulationen ist überhaupt nichts dran. Ross Brawn ist wie das gesamte Team hoch motiviert, arbeitet Tag und Nacht. Wir alle freuen uns auf Melbourne und werden schauen, wie es da sein wird."
Nicht nur Sebastian Vettel hat bei den Testfahrten zuletzt in Barcelona den hohen Verschleiß der neuen Reifen kritisiert. Wie denken Sie über das Thema?
„Das Grundproblem derzeit ist, dass Pirelli einen sehr weichen Reifen gebaut hat, der zuletzt bei den Testfahrten in Barcelona zu einem hohen Verschleiß bei ausnahemslos allen Teams geführt hat. Keiner weiß vom anderen, wie stark dieser Verschleiß war, aber alle haben eintönig geklagt, dass der Reifenabrieb zu hoch ist. Es wird interessant zu beobachten sein, warum sich Pirelli zu diesem Schritt entschieden hat. Ich bin der Meinung, dass zwei Stopps im Rennen das richtige Maß sind, um die Zuschauer bei der Stange zu halten. Zu viele Stopps verwirren von vorne bis hinten und die Zuschauer verlieren den Zugang zum Rennverlauf. Deshalb hoffe ich, dass die Angst aller Teams vor zu vielen Stopps sich nicht bewahrheiten wird. Die Reifen dürfen nicht zu weich sein, da muss einfach etwas passieren."
Alle Experten gehen von einem sehr spannenden Saisonverlauf aus, in dem sich kein Fahrer frühzeitig absetzen kann - Sie auch?
„Es rutscht in diesem Jahr alles näher zusammen, weil es keine Reglementänderungen gegeben hat. Die, die ein eher langsames Auto haben, werden versuchen den Anschluss zu finden. Ein Team wie Red Bull dagegen wird es an der Spitze schwerer haben, sein Auto weiterzuentwickeln. So gesehen kann es in diesem Jahr viele verschiedene Rennresultate geben."
Wer ist ihr Titelfavorit 2013?
„Sebastian Vettel ist logischerweise der Favorit, dahinter ist alles dicht beieinander."
Sie sind seit 1995 der RTL-Experte an der Rennstrecke und werden das auch neben Ihrer Funktion als Chairman of the Board beim Mercedes GP-Team bleiben. Können Sie das eine von dem anderen sauber trennen?
„Das Wichtigste in meiner Funktion als Chairman of the Board ist es, die Dinge, die mir gefallen und die mir nicht gefallen, intern zum Ausdruck zu bringen. Das kann ich ganz klar trennen von meiner Funktion als TV-Experte. Natürlich beobachte ich jetzt die anderen Teams viel genauer und gleiche deren Performance mit der der Mercedes-Rennautos bis ins Detail ab. Dadurch kann ich auch den Fernsehzuschauern viel bessere und detailliertere Informationen geben als in der Vergangenheit."
Und wenn Sie Ihr eigenes Team kritisieren müssen...?
„Wer mich kennt, der weiß, dass ich ein grundsätzlich objektiver Mensch bin. Ich habe einfach kein Problem, das zu sagen, was die Wahrheit ist. Und das wird auch so bleiben. Es wird sich auch an der Art der Kritik nichts ändern, die ich öffentlich anbringe, wenn es nötig ist. Wenn mir etwas positiv oder negativ auffällt, ist es meine Pflicht als Experte, das auch zu benennen. Das weiß auch Mercedes und hat überhaupt kein Problem damit."
Inwieweit sind Sie an den Wochenenden in das operatives Geschäft eingebunden?
„Überhaupt nicht. An der Rennstrecke sind Ross Brawn und Toto Wolff verantwortlich, wobei Ross der Team Principle ist. Ich selbst habe mit dem Rennverlauf, mit Rennstrategien oder ähnlichem überhaupt nichts zu tun. Ich habe als Chairman of the Board eine Hubschrauberperspektive eingenommen, aus der ich erkennen muss, was sich teamintern und strukturell abspielt. An den Rennwochenenden selbst habe ich keinerlei Funktion. Ich beobachte alle Teams und den Rennverlauf so, wie ich das in der Vergangenheit für RTL auch getan habe."
Quelle: RTL