Gedanken für den Tag Ziel Auslöschung? Ziel besseres Leben

Sa, 05.07.  |  6:57-7:00  |  Ö1
von Gudrun Sailer, Journalistin bei Radio Vatikan in Rom

Thomas Bernhards letzter Roman „Auslöschung“ spielt zur Hälfte in meiner Wahlheimat Rom. Die Hauptfigur, ein traumatisierter Landadliger aus Vöcklabruck, rechnet in einem inneren Monolog mit seiner Herkunft ab, die er mehrfach und gründlich der titelgebenden „Auslöschung“ zuführt. Der nach Bernhard-Manier äußerst ichbezogene Ich-Erzähler hat sich in Rom nobel eingemietet, „weil er den Blick auf das Pantheon zum Frühstück haben will“, vor allem aber, weil er seine Heimat nicht erträgt. Rom ist sein Refugium.Thomas Bernhard selbst muss am realen Rom seinerzeit auch gelitten haben. Eine Lesung am österreichischen Kulturinstitut um 1980 ging gründlich schief. Bezeugt ist folgende Szene: Der Abend beginnt, Bernhard fängt an zu lesen, hebt den Blick, sagt: „Vor so einem Scheiß-Publikum les ich nicht“, klappt das Buch zu und flüchtet. Das geschmähte Publikum erwies sich als langfristig über den Dingen stehend, Thomas Bernhard wird in Italien bis heute viel gelesen. Seine schöne, fast liedhafte Sprache gefällt auch im Idiom Dantes.Warum wählte Bernhard für seinen letzten Roman Rom als Folie für die Selbstanalyse seines kreuzunglücklichen Auslandsösterreichers? Vielleicht, weil man hier zwischen Forum Romanum, Vatikan, Mund der Wahrheit und Verkehrshölle alles wie durch ein Brennglas sehen kann. Traditionen, eigene und fremde, Herkunft, Widersprüche. Was ich begriffen habe in meinen Jahren als durchaus glückliche Auslandsösterreicherin: Rom ist nie zu Ende, nie ausgelesen. Es bietet Stoff für ungezählte Romane und Selbstbespiegelungen. Die Hoffnung wäre, dass diese nicht zur Auslöschung führen, sondern zu deren Gegenteil: zum besseren Leben, in allem.

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