Punkt eins Diplomatie in Zeiten der Disruption

Di, 01.04.  |  13:00-13:55  |  Ö1
„Nur noch die Scherben zusammenkehren?“ Gast: Dr. Wolfgang Petritsch, ehemaliger österreichischer Botschafter bei der UNO und der OECD sowie Sondergesandter und Verhandlungsführer der EU für den Kosovo und Hoher Repräsentant der UNO für Bosnien. Moderation: Alexander Musik. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at

Eine diplomatische Vertretung kann ein unscheinbares Büro in einem Wohnhaus eines vernachlässigten Stadtteils sein oder eine luxuriöse, festungsartig gesicherte Residenz in bester Lage – schon rein optisch ist sie ein Indikator für die (sich selbst beigemessene) Wichtigkeit eines Landes, das sich im Gastland so oder so repräsentiert: Botschaften als ein Relikt der klassischen Diplomatie."Das Kerngeschäft der Diplomatie besteht heutzutage wie seit Jahrhunderten darin, in einem Land offiziell die Interessen eines anderen Landes zu vertreten", erzählt der lang gediente Schweizer Diplomat Paul Widmer in den „Salzburger Nachrichten“ (SN): „Der Diplomat muss glaubwürdig auftreten, mit Geschick für die Sache argumentieren und das Vertrauen seiner Gesprächspartner gewinnen. Er muss mit der Kraft seines Wortes, mit präziser Sprache und mit seiner Persönlichkeit überzeugen. Etwas anderes steht ihm nicht zur Verfügung." Doch was ist aus diesem Geschäft, dem Austausch von Gesandten und diplomatischen Noten, den Konferenzen, Hinterzimmer- und Kamingesprächen in einer Zeit geworden, in denen der Öffentlichkeit hastig hingeworfene Kurznachrichten und Facebook-Einträge als politische Botschaft gelten – und von den Medien gerne ausgeschlachtet werden?"Die Fortschritte in der Kommunikationstechnologie haben alles schneller gemacht, was in der Diplomatie nicht immer ein Vorteil ist“, sagt der österreichische Politologe Robert Schütt in den „SN“. „Die klassische Diplomatie wird zusätzlich durch Telefondiplomatie und Gipfeldiplomatie umgangen. Mittlerweile ist die Entwicklung so, dass auch die Außenministerien entwertet sind, wenn etwa Politiker ohne Absprache Brisantes twittern, siehe Trump. Das kann dazu führen, dass Diplomaten nur noch die Scherben zusammenkehren können.“ Klassische Diplomatie braucht Zeit und gute Pflege – im Zeitalter der Disruption, dem planmäßigen Zerstören überholt geglaubter Strukturen, hat das keine Konjunktur. „Hier geht es um Politik pur“, schreibt der deutsche Soziologe Steffen Mau, „ungebremst von checks und balances, verfassungsmäßiger Einhegung, der Kontrolle durch eine Öffentlichkeit und der parlamentarischen Opposition. Es geht darum, sich die Welt durch die Ausübung von Macht verfügbar zu machen. Es geht um das ganz große politische Versprechen: Im Handumdrehen alle Beschränkungen des Politischen abzustreifen und Handlungsmacht zu maximieren."Diplomatie ist das Gegenteil von Disruption, sagt auch Dr. Wolfgang Petritsch, der selbst eine große Expertise als Diplomat im klassischen Sinne vorweisen kann und auch als Politiker in Erscheinung trat, als er vor bald 25 Jahren bei der Nationalratswahl für die SPÖ angetreten und für den Posten des Außenministers vorgesehen war. Wolfgang Petritsch war österreichischer Botschafter bei der UNO und der OECD sowie Sondergesandter und Verhandlungsführer der EU für den Kosovo und Hoher Repräsentant der UNO für Bosnien und Herzegowina. Natürlich laufe das klassische Geschäft, funktionierten die Kanäle der Diplomatie weiter, so Petritsch. Die Frage sei nur, was diese Diplomatie noch ausrichten könne. Vor bald 25 Jahren, 2002 kandidierte er bei der Nationalratswahl für die SPÖ, und war für den Posten des Außenministers vorgesehen.Alexander Musik diskutiert mit dem Diplomaten Dr. Wolfgang Petritsch – und mit Ihnen: Wir freuen uns über Ihre Anrufe unter 0800 22 69 79 oder Ihre E-Mail an punkteins(at)orf.atWas fällt Ihnen als erstes ein, wenn es um Diplomatie geht? Cocktailpartys in exterritorialer Kulisse zwecks Austausch gepflegter Worthülsen? Was kann Diplomatie 2025 noch bewirken? Wie wird sich das Berufsbild "Diplomat/in“ im 21. Jahrhundert weiterentwickeln?

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