Der Ö1 Essay Die Entwicklung des modernen Sports
Fr, 29.11. | 11:05-11:25 | Ö1
Pierre Bourdieu (1930-2002) ist einer der einflussreichsten Soziologen des 20. Jahrhunderts. Zeitgleich mit der Veröffentlichung des Buchs „Die feinen Unterschiede“, in dem er Ausprägung und Entstehung des Kunstgeschmacks analysierte, hat der aus einfachen Verhältnissen im Süden Frankreichs stammende und an den Eliteschulen in Paris lehrende Soziologe und Sozialphilosoph einen Aufsatz über die Entwicklung des modernen Sports veröffentlicht. Bourdieu untersucht den Sport als Teil eines sozialen und kulturellen „Feldes“: „Zu fragen ist nach den sozialen Bedingungen der Herausbildung jenes Systems von Institutionen und Akteuren, die mittelbar oder unmittelbar mit Sportpraxis und Sportkonsum in Zusammenhang stehen: angefangen bei den öffentlichen oder privaten Sportverbänden, zu deren Aufgaben neben Imagepflege und Interessenvertretung der einen bestimmten Sport Praktizierenden, die Erarbeitung und effektive Anwendung eines entsprechenden Regelkanons gehören, weiters mit Sport verbundene Dienstleistungen (Sportprofessoren, Turnlehrer, Trainer, Sportärzte, Sportjournalisten usw.) bis hin zu den Herstellern und Verkäufern von Sportartikeln wie Ausrüstung oder Kleidung und den Produzenten und Vermarktern von sportlichen Veranstaltungen“ (Bourdieu). Bourdieu analysiert Sport auch als Form sozialer Distinktion. Sport sei ein Mittel, den eigenen sozialen Status auszudrücken und zu reproduzieren. Vorlieben für bestimmte Sportarten und ihre Ausübung seien durch den „Habitus“ geprägt, der verinnerlichten Einstellungen und Praktiken, die aus der sozialen Herkunft resultieren. Sport habe auch eine wichtige gesellschaftspolitische Dimension: „Die sicher entscheidendste politische Auswirkung des Sports ist weniger darin zu sehen, daß er chauvinistische oder sexistische Regungen stimuliert, als vielmehr in der von ihm beförderten Kluft zwischen dem Profi, dem Virtuosen einer esoterischen Technik, und dem auf den Status eines bloßen Konsumenten reduzierten Laien – und diese Kluft nistet sich immer nachdrücklicher in das kollektive Bewußtsein ein: Der sprichwörtliche Mann von der Straße ist nicht nur im Bereich des Sports auf die Rolle eines fans, jenes zur Karikatur geronnenen Grenzfalls des Aktivisten, zusammengeschrumpft und zu einer rein imaginären Partizipation verurteilt, die im Grunde nichts anderes als Scheinersatz für die Preisgabe eigener Fähigkeiten zugunsten der Experten ist.“ (Bourdieu).Aus Pierre Bourdieu „Historische und soziale Voraussetzungen modernen Sports“, veröffentlicht 1978, liest Markus Hering.
in Outlook/iCal importieren