selbstbestimmt! Die Reportage Ersatzteil im Kopf

Sa, 11.01.  |  9:30-10:00  |  ARD-alpha
Untertitel/VT Stereo 
Artikel 3 des Grundgesetzes verkündet: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Doch wird diese abstrakte Norm tagtäglich umgesetzt - und wenn ja, wie? Die Sendung "selbstbestimmt!" geht dieser Frage nach, sei es in Arbeit und Beruf, in der Schule, an der Universität, beim Wohnen, beim Sport oder in der Kultur und Kunst. Selbstbestimmtes Leben, Selbstbestimmung im privaten und im gesellschaftlichen Bereich ist die berechtigte Grundforderung von Menschen mit Behinderung.

Es gibt Chochlea-Implantate seit etwas mehr als 20 Jahren. Eines von 1.000 Kindern wird mit einem starken Hörschaden geboren, es ist eine der häufigsten Behinderungen bei Neugeborenen. Für sie ist das Cochlea-Implantat die Standardversorgung mit der Verheißung auf ein normales Leben. Inzwischen tragen 50.000 Menschen in Deutschland die Technik im Kopf, Tendenz steigend. Doch der Erfolg darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Hörprothese kein Allheilmittel ist.

Benni hat seine Implantate in den ersten Lebensmonaten bekommen. 50% bis 70% der Kinder erreichen mit dem Cochlea-Implantat tatsächlich eine ähnliche Sprachentwicklung wie normalhörende Kinder, für sie ist das ein Segen. Doch Benni gehört zur anderen Hälfte der CI-Kinder, die mit den Implantaten nicht ausreichend hören und sprechen lernen. Für Bennis Mutter war es keine Frage: Ihr Kind soll zusätzlich die Gebärdensprache lernen. Für zahlende Ämter aber gilt die CI-Versorgung als Allheilmittel, mit dem sie teure und langwierige Gebärdensprachkurse, Dolmetscher, Schulassistenzen etc. sparen. Erst nach jahrelangen Kämpfen bekommt die Familie das persönliche Budget für die Gebärdensprachförderung bewilligt.

In Deutschland wurden vor 15 Jahren mit dem Behindertengleichstellungsgesetz die Grundlagen zur rechtlichen Anerkennung der Gebärdensprache geschaffen. Seitdem haben Gehörlose Anspruch auf Dolmetscher bei Behörden, vor Gericht oder am Arbeitsplatz. Steffen Räder aus Pirna ist gehörlos aufgewachsen. Er hat einen Versuch mit dem Cochlea-Implantat gewagt und bereut. Steffen konnte mit dieser Technik nur wenig verstehen und bekam sogar nach einem Arbeitsunfall gesundheitliche Probleme. Er ließ sich das Implantat 2014 wieder entfernen und leidet bis heute unter Tinnitus und Schmerzen am Ohr.

Für Jonas Enzmann und Enno Park dagegen bedeuten die Prothesen ein großes Plus an Lebensqualität. Jonas geht auf ein normales Gymnasium und betreibt Leistungssport. Enno Park kann nach einer Maserninfektion dank der Cochlea-Implantate fast so gut hören wie früher. Der Informatiker und Publizist hat die Verschmelzung von Mensch und Maschine zu seinem Spezialgebiet gemacht und begleitet die Diskussion um die Zukunft der Medizintechnik auch kritisch.

Das Cochlea-Implantat ist ein großer Gewinn, da sind sich alle Protagonisten einig, solange es nicht blind macht für die Kehrseite der Medaille. Es wird immer Menschen geben, denen die Medizintechnik nicht helfen kann, und ihnen müssen alle Maßnahmen zur Barrierefreiheit zugänglich sein.

Artikel 3 des Grundgesetzes verkündet: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Doch wird diese abstrakte Norm tagtäglich umgesetzt - und wenn ja, wie? Die Sendung "selbstbestimmt!" geht dieser Frage nach, sei es in Arbeit und Beruf, in der Schule, an der Universität, beim Wohnen, beim Sport oder in der Kultur und Kunst. Selbstbestimmtes Leben, Selbstbestimmung über eigene Angelegenheiten im privaten und im gesellschaftlichen Bereich ist die berechtigte Grundforderung von Menschen mit Behinderung.

Autor: Elke Thiele

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