Sanatorium Europa Magie des Ortes

Mo, 02.12.  |  0:50-1:45  |  tagesschau24
Untertitel/VT Stereo  2017
Wieder einmal befindet sich unsere Welt dramatisch im Umbruch. Die europäische Idee scheint so bedroht wie nie. Höchste Zeit zu fragen: Wie haben die großen Dichter und Denker auf die erste europäische Krise reagiert? Vor und während des Ersten Weltkriegs, als Europa unterging und wieder auferstand? Welche Parallelen gibt es zu heute? Der Dokumentarfilm besucht geschichtsträchtige Sanatorien in Italien und in der Schweiz, wo Intellektuelle wie Thomas Mann, Hermann Hesse und Ernst Bloch ihr Unbehagen an der Zeit kurierten.

Thomas Mann und Hermann Hesse, zwei leidenschaftliche Europäer, spürten das Unbehagen an der Zeit damals, wie viele andere auch. Um ihre erschöpften Nerven zu kurieren, flüchteten sie ins Sanatorium. Und zwar an die oberitalienischen Seen, dorthin, wo gefühlt der Süden beginnt. Überall wurden luxuriöse Heilanstalten gebaut, meist blieb man für mehrere Wochen, gar Monate. Die dekadente Gesellschaft im Reformsanatorium von Dr. von Hartungen am Gardasee mit all den eingebildeten Kranken faszinierte Thomas Mann. Hier bekam er die Ur-Inspiration zum „Zauberberg“, dem Abgesang schlechthin auf das sterbende Europa.

Heute steht die Ruine des Sanatoriums in Riva leer. Für die Filmemacherin Julia Benkert symbolischer und realer Ort zugleich, um das Unbehagen an der Zeit zu analysieren. Wirken die Symptome von damals doch erschreckend vertraut: das Ausgebranntsein, der Veganer-Boom, die Hinwendung zu asiatischen Weisheiten, das Zurück-zur-Natur, genauso wie der Ruf nach Führung. Die Parallelen zu heute lesen sich wie Warnzeichen vor dem nächsten großen Krieg.

Der Philosoph Andreas Weber und die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot ordnen die gesellschaftlichen Phänomene ideengeschichtlich ein und zeigen, dass viele Prozesse, die damals begonnen haben, noch lange nicht abgeschlossen sind – handelt „Sanatorium Europa“ doch nicht nur vom Kranksein, sondern auch von Heilung.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs war die Idylle der magischen Seenlandschaft zerstört. Nur die Region um Ascona am Lago Maggiore blieb politisch neutral, weil sie zur Schweiz gehörte. Das einstige Refugium wurde zum Exil. Besonders das Sanatorium Villa Neugeboren zog die Intellektuellen an. Pikanterweise lag es auf dem Hügel direkt gegenüber des Monte Verità, dem legendären Wahrheitsberg. Fieberhaft suchten die Intellektuellen nach neuen Utopien für Europa. Ernst Bloch beendete hier sein berühmtes Werk „Geist der Utopie“. Hermann Hesse schrieb den „Demian“, darin der Spruch „Sei du selbst!“, der zum Mantra eines ganzen Jahrhunderts werden sollte.

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